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Eine mögliche Welt ist anders – Glossolalie einer Urlauberei im Hällischen



Der folgende Text bemüht sich Anstösse aktueller kritischer Theorie in der alphapress zu verankern. Verschiedene Positionen im weitesten Sinn dekonstruktivistischer Theorie zum Dispositiv der Gewalt werden schemenhaft dargestellt und freuen sich auf ihre Anwendung im Alltag – also: auf deine Antwort. Erstmal.

Urlaubsbesuche in Hall haben ja durchaus ihren Reiz; mindestens ebenso reizvoll kann es dann sein zwischendurch das hällische Idyll zugunsten einer Exkursion ins Mittelhessische zu verlassen. Hier feiern Studenten die Abschaffung der Studiengebühren als schon mal explizit revolutionären Akt und sehen sich als Avantgarde, der die Restrepublik bald folgen wird.
Soweit, so Utopie, aber es erfrischt doch ungemein so viele „für solidarität und freie bildung“-T-Shirts zu sehen wie hier. Außerdem gibt es Nachtanzdemos. Eine nicht nur als Protestform schöne Erfindung, denn: meistens wird ja gegen bestimmte obrigkeitsstaaliche Massregelungen manifestiert, wohingegen man sich hier zum Gegenteil entschlossen hat, also die Entscheidung zur Abschaffung der Studiengebühren mit dem kommenden Wintersemester zu begrüßen. Außerdem passiert die Nachttanzdemo eben nachts, und wird dann leicht so was wie loveparade, nur mit weniger Wagen, weniger Menschen und weniger Getränkeverkäufern. Auf jeden Fall: massiver Spaß mitten in der Nacht neben einem vor Bässen scheppernden Truck sich durch die Stadt zu bewegen.
Was beschäftigt außerdem? So ein Protest jenseits der Inputlücke muss natürlich auch mal kritisch-theoretisch untermauert werden und nachdem sich Westeuropas linkes Spektrum ausgiebig mit Legitimierungstrategien befasst hat, wird Gewalt plötzlich das akademische Hipsterthema schlechthin. Während die klassische Fragestellung sich eher darum drehte, ob es okay ist Kaufhäuser anzubrennen, wenn man doch sonst Pazifist ist, fragt die aktuelle Theoriediskussion vor allem nach Gründen und Hintergründen postindustrieller Dispositive wie: Amstetten, Serienmördern oder brennender Autos in Pariser banlieues. Klar wird dabei schnell: Amstetten ist erstmal überall. Den vielleicht banalsten Zugriff auf die Klamotte leistet sich der im Prinzip ja völlig geschätzte Lacan-Experte Slavoj Zizek. Der hat selbstverständlich im Prinzip recht, wenn er feststellt, dass es zu unterscheiden gilt zwischen subjektiver Gewalt, also das was uns im Alltag als Gewalt auffällt, eben Amstetten, und systemischer Gewalt. Systemische Gewalt ist für Zizek ein gleichsam unter der Oberfläche der Gesellschaft immer waberndes, latent ausbrechen wollendes Ding, das es natürlich auch erst im Kapitalismus so richtig gibt. Alles sehr sympathisch, aber vielleicht geht diese doch echt mal klassisch marxistische sowas-kommt-von-sowas-Lektüre dann doch ein Stück an der Komplexität des Phänomens vorbei. Egal, das Buch wird weiter gelesen, mag ja noch ebbes komme.
Raffinierter jedenfalls bewegt sich das Denken bei Giorgio Agamben im Ausnahmezustand.
Der denkt – als Leiter des College de France und fleißiger Rezipient von Lacan, Derrida und Deleuze – ähnlich wie Zizek, wenn er sagt, der Ausnahmezustand illustriert nichts weiter als die dem System stets inhärente autoritäre Haltung. Im Extrem kristallisiert sich also nichts weiter, als das Normale. Erst indem man das Andere erkennt, wird einem das Eigene bewusst – Individualität entsteht also nicht als Summe positiv bestimmter Eigenschaften, sondern als Summe von Abweichungen und Differenzen zu Anderem. Fremde sind wir uns selbst hat man deshalb an anderer Stelle dazu geschrieben. Kulturkritik wird daraus dann, wenn die Medialisierung pathologischer Momente nichts weiter betont, als das subjektiv-aggressive Ereignis, also etwa: Amstetten. Dann muss von den Nachrichten erklärt werden, warum Amstetten eben nicht normal ist – obwohl es innerhalb des allgemeinen Wahnsinns durchaus der systemischen Methode oder Logik folgt.
In der Sache etwas weiter geht der amerikanische Literaturwissenschaftler Mark Seltzer. Für Seltzer ist weniger das Ereignis der Gewalt das entscheidende, sondern das Ereignis der medialen Aufbereitung dieser Gewalt.

Dass eine mögliche Welt anders ist findet übrigens der Asta der Akademie der bildenden Künste in Karlsruhe, der mit diesem Motto das diesjährige Sommerfest der Akademie überschrieb.







Lesen
Giogio Agamben. Ausnahmezustand. Homo Sacer II. Suhrkamp, 2004
Mark Seltzer. True Crime. Observations on Violence and Modernity. Routledge, 2007
Slavoj Zizek. Violence. Big Ideas, 2008.

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