Donnerstag, 20. November 2008

alpha press2

Das Böse gibt es

my best friend's a butcher, he has sixteen knives
he carries them all over the town at least he tries
(Interpol – Roland)

Leserschaft, verehrte, mein Beitrag in der vorigen Ausgabe der AlphaPress bemühte sich einige Positionen aus der akademischen Perspektive zum Phänomen der exzessiven Gewalt im Kapitalismus unserer Zeit zusammenzufassen. Das große Wort vom zivilen Ungehorsam lag dabei im Text im Schlummer, wurde aber nicht so genannt. Der folgende Text bemüht sich anhand von allerhand Kulturgedöns um eine Veranschaulichung. Und fragt nach Kommentaren auf http://spaziba.twoday.net

Gewalt zur Zeit geht nicht ohne die mediale Vermittlung – sicherlich geschieht Gewalt auch dort, wo nicht hinterher davon gesprochen wird. Und geschieht dort auch weiter und in Zukunft. Aber sie wird nicht zum Ereignis. Davon kann man dann sprechen oder nicht, oder man ist zum Sprechen gezwungen, auch wenn sich nichts Vernünftiges sagen lässt. Oder man spricht um des Sprechens willen und enthüllt nur die eigene Hilflosigkeit – wie die Protagonisten in Thomas Glavinics Der Kameramörder.
Thomas Glavinic lässt in seinem Roman-Thriller quasi ständig das Fernsehen laufen. Die Ereignisse von denen der Text handelt sind schrecklich genug und müssen hier nicht erzählt werden. Umhauend sind vielmehr die Facetten der Reaktionen, die der Text beschreibt. Reaktionen, die von Faszination, Regression über Zynismus bis zu Aussagen des völligen Scheiterns von Seiten der Instanzen aus Rechtsstaatlichkeit, Psychologie und Sozialforschung handeln. Und das sind keine Reaktionen auf das Ereignis als solches, sondern Reaktionen auf das televisuelle Ereignis.
So entspringt es nur der logischen Konsequenz, dass sich der Fokus des Textes verschiebt. Handelt er früh von dem schrecklichen Mord an zwei Kindern und der Suche nach dem Täter, so tritt dieses Geschehen später, zu Gunsten der medialen Aufbereitung der Ereignisse in den Hintergrund. Die Ausstrahlung eines Videobandes, das die Morde festhält (der Text ist älter als MiniDV), und die Reaktionen darauf: Demonstrationen gegen die Ausstrahlung, Aufrufe von Politikern, Androhung strafrechtlicher Konsequenzen. Das Fernsehen kann nun vom Fernsehen berichten. Und genau darum muss es gehen: nicht, dass Gewalt passiert ist der Skandal, sondern vielmehr wie darüber – scheinbar – berichtet wird.
Mark Danielewskis House of Leaves liegt ein ähnliches media a priori zu Grunde. Der Text ist das Referenzwerk der New American Gothic und unbedingt im englischen Original zu lesen. Der Roman arrangiert sich aus mehreren erzählenden Instanzen. Vor allem handelt er von dem Tätowierer John Truant, der, als er sich eine neue Wohnung ansehen will, die Unterlagen eines zweiten maßgeblichen Erzählers findet. Dabei handelt es sich um einen quasi wissenschaftlichen Text über die fiktive Videodokumentation The Navidson Report. Der Dokumentarfilmer Will Navidson hat in diesem Video die unglaublichen und schrecklichen Ereignisse in seinem Haus festgehalten. Die fiktionale Welt, die House of Leaves bereits auf den ersten Seiten entwirft, beansprucht durch zahlreiche mediale Referenzpunkte eine völlige Authentizität. So wird verwiesen auf die Äußerungen Dritter zum Navidson Report und im Anhang finden sich Arbeiten von Kunststudenten, die in der Dokumentation ihre Inspiration fanden.
Bedeutsamer als die Referenz auf die Beschäftigung Anderer mit dem Film bleibt die immer wieder geäußerte Behauptung, der Navidson Report habe nur durch die Hand eines geschulten Dokumentarfilmers geleistet werden können. Kein herkömmlicher Hobbyvideofilmer wäre dazu in der Lage gewesen. House of Leaves betont also vor allem, wie wichtig es ist, Techniken zur Beherrschung von Medien zu besitzen. Andernfalls wird man selbst von Medien beherrscht. Die Prämisse des Buches, dass ohnehin jeder die Ereignisse kennt, wird konsequenter Weise so zu Ende geführt, dass diese auch nicht nacherzählt werden.
Zurück zum Anfang: Was soll das ganze Sprechen vom Ereignis? Das Ereignis in unserem Sinne verweist nicht auf: Ey Mandy, ick wa jestan wija hacke. Aba so risch – sagt Sandy. Wobei auch solche Fälle offensichtlich größer als Sprache sind; jedoch aus Gründen, die eher im Sprecher als im Ereignis zu vermuten sind.
Eher sollte es um Ereignisse gehen wie Amstetten, Kinderleichen in Blumenkübeln, Morde und Selbstmorde jenseits der Logik. Darum handelt es hier auch nicht von Krieg oder modernen Formen der Sklaverei, denn diese folgen meistens einem ausnehmend simplen und Komplexitäts reduzierenden Gedanken. Auch wenn es Wahnsinn ist, so hat es doch Methode. Und: Der Rest ist Schweigen.


Lesen:
Thomas Glavinic. Der Kameramörder.
Mark Z. Danielewski. House of Leaves.
Peter Sloterdijk. Der starke Grund zusammen zu sein.
Jacques Derrida. Signatur. Ereignis. Kontext.

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